Wenn Käthe Kollwitz vor 100 Jahren getwittert hätte…

Die Künstlerin Käthe Kollwitz (1867-1945) hat von September 1908 bis 1943 Tagebuch geführt. Was wäre, wenn es Twitter schon gegeben hätte? Ich möchte in diesem Blogpost den Gedanken einmal durchspielen und ihren möglichen Twitterfeed für das Jahr 1917 aufzeigen. Zugrunde liegen hierbei echte Tagebucheinträge aus diesem Jahr. Ich wäre ihren Tweets sehr gerne gefolgt.

Käthe Kollwitz, Weberaufstand, 1898

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 01.01.1917

Die Glocken. (…) Wir wünschen Frieden. (…) Wir wünschen, dass wir zusammenbleiben dürfen und Kraft zur Arbeit behalten. #Neujahr1917 #HappyNewYear

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 21.01.1917

Mit der Arbeit sehr zögernd wieder begonnen. #Mahnmahl

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 01.02.1917

Neulich bei @MillySteger gewesen im Atelier. Sie ist sympathisch und ihre Arbeit stark. #FF

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 02.02.1917

Ich arbeite jetzt am Vater. Es geht verhältnismäßig rasch voran, trotzdem ich müde bin und mir manchmal gar nicht so gut ist. #Bildhauer #Mahnmahl

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 04.02.1917

Krieg mit Amerika! Dazu bittere Kälte über ganz Europa und nirgends Kohlen. #Winter #GottStehUnsBei

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 09.02.1917

Heut, durch äußere Umstände veranlaßt, die Arbeit am Vater unterbrochen und den Gipsguß der Mutter vorgenommen. #Mahnmahl

 

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Luther @Luther 26.02.1917

Das Leben ist nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Wesen, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. #wisdom

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz Februar 1917

@Tolstoi Die Vervollkommnung im Guten (…) kommt mir oft als so etwas Fremdes vor. Und als etwas, was die Farbigkeit des Individuums stört.

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz Februar 1917

Kraft! Das ist, das Leben so zu fassen, wie es ist, und ungebrochen durch es – ohne Klagen und viel Weinen – mit Stärke seine Arbeit tun. #Nietzsche

 

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Angelus Silesius @Angelus Feb 1917

Mensch werde wesentlich! #Menschsein #Humanismus

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 13.03.1917

Reply @Goethe ”…daß die Menschheit zusammen erst der wahre Mensch ist und daß der einzelne nur froh und glücklich sein kann, wenn er den Mut hat, sich im Ganzen zu fühlen.”

Eine Bemerkung, die zur Jetztzeit paßt, als ob einer im dicksten Nebel oder in stockfinsterer Nacht von der schönen Aussicht spricht.

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 13.05.197

Nach Ostern konzentriert an der Ausstellung gearbeitet. Montag, den 16. wurde sie eröffnet. Der Erfolg der Ausstellung war groß. @PaulCassirer #BerlinerSezession

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz Juni 1917

Der @Simplizissimus brachte ein Bild: der Tod, der sich erschöpft niedersetzt und die Hände vors Gesicht hält: “Menschen hört auf – ich kann nicht mehr.” #EndetDenKrieg

Simplizissimus

Käthe Kollwitz @KKollwitz Juni 1917

Wieder seit Wochen nichts aufgeschrieben. Es ist keine gute Zeit. Ich bin zerstreut. Arbeite nicht.

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 18.07.1917

Es geht mit der Arbeit gut. (…)Dachte an das #Elternrelief und daß das an Peters Grab kommen könnte. (…) Es gehört vorn an den Eingang: Hier liegt deutsche Jugend. #EndetDenKrieg

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 26.07.1917

Mit der Arbeit immer weiter gut. Arbeite ohne Mühe und ohne Ermüdung. Es ist, als ob Nebel sich verzogen haben. #Mahnmahl

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 09.07.1917

Mein 50. Geburtstag gewesen. So anders als ich ihn mir früher dachte. Wo sind die Jungen? Doch war der Tag schön, ist diese ganze Zeit schön. #50JahreIch

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 15.07.1917

In Gips an der Mutter gearbeitet. Endlich komm ich etwas in die Gipsarbeit herein und fange an, das Material und die Instrumente (…) zu verstehen. #Mahnmahl

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz August 1917

Habe das Gefühl, der Sache auf der Spur zu sein. #Mahnmahl 

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 30.08.1917

Gorkis Kindheit gelesen. Wie bitter und traurig. Nur die wundervolle Großmutter! #Gorki #Literatur

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 09.09.1917

Ich sehe klarer, daß dieser Weg zum Ziel führt, aber auch, daß das Ziel noch so weit ist, daß Jahre vergehen werden, bis ich mit Peters Arbeit fertig bin. #Eltern #Trauer

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 10.10.1917

Einen Monat durch nichts aufgeschrieben. (…) Dann eine Woche in Lubochin. Die Erinnerungen an Peter waren überall. #Trauer

 

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Stefan George @StGeorge 17.10.1917

Der alte Gott der schlachten ist nicht mehr.

Erkrankte welten fiebern sich zu ende

In dem getob. Heilig sind nur die säfte

Noch makelfrei versprizt – ein ganzer strom. #EndetDenKrieg

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 06.11.1917

In der #Barlach Ausstellung gewesen, die sehr fein ist. @PaulCassirer #BerlinerSezession

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 16.11.1917

Ob meine Plastik nicht auch nur transponierte Zeichnung ist? Eigenes Gefühl für Form? #ZeitgenössischeKunst

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 17.11.1917

Was ich jetzt dunkel fühle, ist die Symbolik der Kunst. Mit was für Sachen habe ich mich bloß früher zufriedengegeben! #ZeitgenössischeKunst

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 23.11.1917

Römer: „Ihre Impressionisten sind jetzt auch ex.“ Cassirer: „Dann nennen wir sie Expressionisten und sie sind wieder neu.“ #Humor #BerlinerSezession

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 24.11.1917

Früh unten im Atelier von @ProfWenck gewesen. (…) Ich bin etwas mutlos. So werde ich nie arbeiten können. Ich muß mich erst finden in der Plastik. #ZeitgenössischeKunst

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz Nov 1917

(…) Die kleine plastische Arbeit #Eltern angefangen. Heute Plan gefasst wahrscheinlich zu neuer Radierung.

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 17.12.1917

Ich habe eine Hoffnung, daß wirklich nun etwas Neues in Zeichnung und Radierung hineinkommen wird. Das kann nur größere Einfachheit sein. #ZeitgenössischeKunst

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 17.12.1917

Heute die Zeichnung gemacht, wie Vater und Mutter am Weihnachtsbaum sitzen. #Weihnachten

Käthe Kollwitz, Eltern am Weihnachtsbaum (Foto: Käthe-Kollwitz-Museum Köln)

Käthe Kollwitz, Eltern am Weihnachtsbaum

Käthe Kollwitz @KKollwitz 31.12.1917

Zum ersten Mal allein in dieser Nacht seit 26 Jahren. Karl im Krankenhaus. Hans in Focsani, Peter fort für immer. #Silvester

 

Käthe Kollwitz @KKollwitz 31.12.1917

Was hat dies Jahr gebracht? (…) Es hat nicht den Frieden gebracht. Es hat immer genommen und genommen. Menschen genommen und Glauben genommen, Hoffnung genommen. #1917


Fotos:

Titelbild: K. Kollwitz, Trauernde Eltern, ein Mahnmahl für Peter, 1914-1931. Jetzt in Vladslo, Belgien – copyright: public domain

K. Kollwitz: Ein Weberaufstand (Zyklus in 6 Blättern), Blatt 4: Weberzug,
Käthe Kollwitz (1867-1945) 1897.
Radierung, 21,6 x 29,5 cm; bez. u. l.: Weber Bl. 4.
Köln, Käthe Kollwitz Museum.

Portrait K. Kollwitz (Detail), Fotografie Robert Sennecke – copyright: public domain

R. Blix, Der Tod von Flandern, in:  Simplicissimus 19. Juni 1917

K. Kollwitz, Eltern am Weihnachtsbaum, 1917 – K. Kollwitz-Museum Köln

Bibliografie:

Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken. K. Kollwitz: Ein Leben in Selbstzeugnissen, hrsg. von Hans Kollwitz, Wiesbaden 1988

David Teniers el Joven
Auguste Renoir, Pont Neuf (Detail), 1872

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