Gerhard Richter, Schädel und Kerze, 1983

Gerhard Richter im Neuen Museum Nürnberg

Mit der Ausstellung Gerhard Richter. Ausschnitt präsentiert das Neue Museum Nürnberg erstmals die Werke Richters, die es als Dauerleihgabe aus der Sammlung Böckmann erhalten hat und gewährt so einen gelungen Einblick in das komplexe Werk des deutschen Künstlers.

Stolz ist man im Neuen Museum Nürnberg. Stolz darauf, jetzt die drittgrößte Richter-Sammlung weltweit zu besitzen und damit nun auch eine neue und gewichtige Position gegenüber bislang renommierteren Häusern einnehmen zu können. Denn der 1932 in Dresden geborene Gerhard Richter gehört immerhin zu den bedeutendsten und teuersten Superstars der zeitgenössischen internationalen Kunstszene. 29 Gemälde von Richter überließen die Sammler Georg Böckmann und seine Frau Ingrid dem Neuen Museum Nürnberg als Dauerleihgabe. Zwei der Werke jedoch hängen noch im Bundeskanzleramt und sollen vorerst auch dort verbleiben. Frau Merkel sei darüber sehr froh, ließ man verlauten. In der Ausstellung kann man die beiden Gemälde daher auch nicht sehen. Dafür hat Gerhard Richter, der auch aktiv an der Planung der Schau beteiligt war, sie mit einer Leihgabe aus seinem Privatbesitz bereichert. Der Bilderzyklus „Elbe“ von 1957 bildet sogar das Entree der Schau und stellt gar ihr Programm vor. Denn diese 31 kleinformatigen Drucke zeigen im Kleinen bereits das auf, was die Ausstellung selbst im Großen dann auch vermittelt – nämlich Richters Auseinandersetzung und Spiel mit den Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Malerei. Erkennt man in einigen Bildern des Elbe-Zyklus noch mondbeschienene Landschaften und Personen, werden diese in anderen von purer schwarzer Farbe geschluckt. In seinen Werken wird so das Figurative und Gegenständliche vom Abstrakten abgelöst, kommt aber doch immer wieder auf und verschwindet manchmal hinter einem einzigen Wisch aus Farbe.

Ein Kaleidoskop aus Stilbrüchen

Wie ein gewaltiger Bilderfries überziehen die 28 ausgestellten Werke Gerhard Richters die hellen Wände des lichtdurchfluteten Saals im Neuen Museum und breiten sich auch auf den zwei großen Wandscheiben aus, die die Weitläufigkeit des Raumes unterbrechen und gliedern. Mit der Vielfältigkeit eines Kaleidoskops folgen hier abstrakte Gemälde auf fotorealistische Porträts, romantische Landschaften auf Akte, monochromatische Leinwände auf wilde Wechselspiele von Farben. Bewusst hervorgehoben wird diese stetige Ambivalenz durch die weitgehend chronologische Anordnung der Werke. Die Nürnberger Ausstellung zeigt Bilder aus den Jahren 1957 bis 2003 und kann damit einen umfassenden Einblick in das Werk Gerhard Richters bieten. Dennoch erinnert der Titel Gerhard Richter. Ausschnitt auch daran, dass es sich hier nur um einen kleinen Ausschnitt, um ein Detail, aus einem langen und komplexen Künstlerdasein handelt. Man hat sich dagegen entschieden, die Bilder in Werkgruppen zusammenzufassen oder gar thematisch anzuordnen. Denn Richters Werk entzieht sich jeglicher Ordnung. Und so hängt „Grau“ von 1976 etwa an der einen Wand und „Grau“ von 2003 auf der weitentfernten anderen. Grau, laut Richter die Farbe, mit der man das Nichts am besten ausdrücken kann. Die Farbe in ihrer Selbstgenügsamkeit wird hier zum eigentlichen Gegenstand der Malerei und Richters Mittel um die Möglichkeiten der Malerei skeptisch zu hinterfragen. Die Ausstellung macht deutlich, wie sich Gerhard Richter mit der Kunst und der Kunstgeschichte auseinandergesetzt hat, wie er Vorlagen nutzt, auf Künstler und Stilrichtungen verweist, wie er reflektiert, erinnert, zurückgreift, verwirft und neu schafft. Richter, das ist klar, will sich nicht einordnen lassen. Einer Etikettierung verweigert er sich. Daher macht die chronologische Hängung und das damit einhergehende Kaleidoskop der Werke auch derart Sinn.

Doppeldeutigkeit und Tiefe

„Richters Werk ist ein permanenter Stilbruch“, sagt auch Sammlungsleiter Thomas Heyden. Und tatsächlich kann man kaum glauben, dass all diese unterschiedlichen Gemälde von ein und demselben Künstler stammen. Wild wogen Wellen und Wolken dem Betrachter des „Seestücks (bewölkt)“ aus dem Jahr 1969 entgegen und erst bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass es sich hier nicht um ein Foto, sondern um ein Ölgemälde handelt. Dagegen offenbart sich das „Stadtbild PL“ von 1970 dem Betrachter nicht bei eben diesem genauen Hinsehen. Je näher man nämlich heran kommt, desto stürmischer und abstrakter werden die breiten Pinselstriche. Ein Gewirr aus schwarzen, weißen, grauen Strichen ist alles, was man erkennt. Erst wenn man zurück tritt, werden aus den abstrakt erscheinenden Zeichen deutliche Straßenzüge. Gerade diesen Schritt zurück verlangen viele der Werke Richters von ihren Betrachtern: denn sie sind zumeist vielschichtig und vielgesichtig. Sie offenbaren sich nicht auf dem ersten Blick, sondern sind voller Brüche und Doppeldeutigkeiten. Gerade die gedeckten Farben, die die Werke der Nürnberger Ausstellung dominieren, vermitteln oft eine geheimnisvolle Unschärfe, die sich wie ein Schleier auf die eigentliche Tiefe der Bilder legt. So sind auch die Blumen auf dem gleichnamigen Werk von 1994 unscharf und verschwommen – als würde man sie durch beschlagenes Fensterglas betrachten. Richter nimmt sich hier der Tradition der Stilllebenmalerei an und macht sie sich zu Eigen. In einigen anderen der im Neuen Museum gezeigten Werke ist diese Verbindung zur kunsthistorischen Vergangenheit ebenfalls erkennbar: Richter scheint sich in einer Linie mit früheren Künstlern zu befinden und doch erschafft er immer etwas Neues. Die friedliche und gemütliche „Lesende am Strand“ aus dem Jahr 1960 erinnert beispielsweise stark an die Gemälde Max Beckmanns , während „Olympia“ von 1967 sowohl an ein Werk Manets erinnert als auch eine Travestie davon darstellt.

Doch muss man all das nicht wissen, um Richters Werke erfassen zu können. Sie wirken für sich. Sollte man dennoch das Mehr im Bild entdecken wollen, hat das Neue Museum Nürnberg interessante Hintergrundinformationen in einem kostenlosen Begleitheft zur Ausstellung zusammengefasst. Ein gelungenes Extra zu einer gelungenen Ausstellung.

 

Gerhard Richter. Ausschnitt. Werke aus der Sammlung Böckmann. Neues Museum Nürnberg. 14.November 2014 bis 22. Februar 2015.


Gerhard Richter, Schädel mit Kerze, 1986

Gerhard Richter, Schädel mit Kerze, 1983

Titelbild: Gerhard Richter, „Schädel mit Kerze“, 1983, Leihgabe aus Privatsammlung @Gerhard Richter, 2104 Foto: Neues Museum (Annette Kradisch)

 

 

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