Paolo Fiammingo, Liebe im goldenen Zeitalter, 1585

Visionen einer idealen Welt: Das goldene Zeitalter in der Kunst

Visionen einer idealen Welt: Das goldene Zeitalter in der Kunst

Die Idee eines “goldenen Zeitalters” als ein ursprünglicher Idealzustand vor dem Werteverfall, taucht in der Literatur zum ersten Mal bei Hesiod (c. 700 v. Chr.) auf. Andere Autoren wie Platon, Virgil oder Ovid übernehmen den Gedanken. Dem Mythos zufolge zeichnete sich das goldene Zeitalter durch die perfekte Harmonie zwischen Mensch und Tier, Nahrungsüberfluss und Freikörperkultur aus. Parallelen zur christlichen Paradiesvorstellung sind unübersehbar. Tieropfer oder auch nur Fleischverzehr fanden keinen Platz im goldenen Zeitalter. Selbst der Ackerbau gehörte nicht zur idealen Welt. Stattdessen lebten Mensch und Tier von den Früchten, die die Erde bereitwillig und im Überfluss zur Verfügung stellte. Zudem wurden die Menschen des goldenen Zeitalters von einem instinktivem Gerechtigkeitssinn geleitet. Gesetze waren nicht nötig, um ein friedliches Zusammenleben zu regeln.

„Erst nun sprosste von Gold das Geschlecht, das ohne Bewachung

Willig und ohne Gesetz ausübte das Recht und die Treue.

Strafe und Furcht waren fern; nicht lasen sie drohende Worte

Nicht an geheftetem Erz, noch stand ein flehender Haufe

Bang vor des Richters Gesicht: Schutz hatten sie ohne den Richter.“ (1)

Ovid, Metamorphosen, 1. Buch (aus dem Lateinischen von Gottwein)

In der Kunstgeschichte fand das Thema besonders seit dem 16. Jahrhundert Beachtung. Lucas Cranach d. Ä. hat 1530 gleich zwei Versionen des goldenen Zeitalters gemalt.

Lucas Cranach, Das goldenen Zeitalter, 1530

Lucas Cranach d.Ä., Das goldene Zeitalter, 1530, Alte Pinakothek München – ©Public Domain

Lucas Cranach d.Ä., Das goldene Zeitalter, 1530

Lucas Cranach d.Ä., Das goldene Zeitalter, 1530, Nationalgalerie Oslo – ©Public Domain

In beiden Fällen ist die Szene durch eine Mauer begrenzt, außerhalb derer Schlösser und Burgen auf Herrschaftsverhältnisse und Besitztümer hinweisen. Das erste Bild rückt den Tanz um den Baum – ein heidnischer Fruchtbarkeitsritus – ins Zentrum des Geschehens. Der Baum dient nach heidnischem Brauch als Männlichkeitssymbol. Tiere und Menschen sind paarweise angeordnet, die Vegetation ist üppig, und Löwe, Hirsch und Mensch pflegen ein friedliches Miteinander. In der zweiten Version wurde der Reigentanz auf die linke Seite geschoben und im Mittelpunkt finden wir einen Fluss, der einer offenen Felsgrotte entspringt. Die Grotte wirkt wie eine Vagina, die Leben gebiert. Auch hier unterhalten sich Menschen und Tiere in Pärchen. Die Badenden scheinen miteinander zu kokettieren: die Frau hebt provozierend ihre Arme und entblößt so ihre Reize. Der Mann bemüht sich, sie schwimmend zu erreichen. Er möchte sie greifen – zu fassen kriegen. Wird er es schaffen? Ist dies noch Liebesspiel oder der Anfang eines silbernen Zeitalters?

Auch in Hieronymus Bosch’s „Garten der Lüste“ (1490-1510?) spielt die ursprüngliche paradiesische Ausgangssituation (auf der linken Tafelseite) und dessen zunehmender Verfall eine Rolle.

Bosch, Garten der Lüste

Hieronymus Bosch, Der Garten der Lüste, 1490-1510 – ©Public Domain

Zu der Idee eines goldenen Zeitalters gehörte von Anbeginn eine schamlose Beziehung zum Körper: wie schon Adam und Eva vor dem Sündenfall brauchen sich die unschuldigen Menschen nicht zu bekleiden. In einigen Fantasien geht dies mit unverblümter körperlicher Liebe einher. So auch in Paolo Fiammingo’s Darstellung der “Liebe im goldenen Zeitalter” (ca. 1585) – ein Bild, welches später Henri Matisse zu seinem “Le bonheur de vivre” (1906) inspirieren sollte. Schön zu sehen, wie der Reigentanz von Cranach über Fiammingo bis Matisse als Symbol von Fruchtbarkeit und harmonischem Miteinander im Zentrum des Bildes erhalten blieb. Auch „La Danse“ (1909) – eines der bekanntesten Bilder von Matisse – wird aus dieser Idee entsprungen sein. Tanz als Fruchtbarkeitsritus fand in der Kunst einen neuen Höhepunkt durch das Ballets Russes, welches mit Künstlern seiner Zeit eng zusammenarbeitete. Hier sei besonders „Le sacre du printemps“ von Strawinsky/Djagilew erwähnt.

Paolo Fiammingo, Liebe im goldenen Zeitalter, 1585

Paolo Fiammingo, Liebe im goldenen Zeitalter, 1585 – ©Public Domain

Henri Matisse, Le bonheur de vivre, 1906

Henri Matisse, Le bonheur de vivre, 1906 – The Barnes Foundation

Neben den Versionen des goldenen Zeitalters von Jean Auguste Dominique Ingres „The golden age“ (1862) und Hans von Marees „Das goldene Zeitalter I und II“ (um 1880) setzte sich am Ende des 19. Jahrhunderts auch Paul Signac mit dem Thema auseinander und gibt ihm eine neue (politische) Dimension. 1895 bringt er die wehmütig rückblickende Vorstellung einer idealen Zeit in den Bereich des Zukünftigen und Möglichen.

Paul Signac, Harmonie

Paul Signac, Au temps d’harmonie (L’âge d’or n’est pas dans le passé, il est dans l’avenir), 1893-95 – ©Public Domain

Das Bild mit dem langen Titel In der Zeit der Harmonie: Das goldene Zeitalter ist nicht in der Vergangenheit. Es ist in der Zukunft, war von Signac ursprünglich als „In Zeiten der Anarchie“ betitelt. Signac beschreibt in einem Brief an Henri-Edmond Cross:

„Großartige Neuigkeiten! Auf deinen Rat hin werde ich mich an einer großen Leinwand probieren! (…) Der Boules Spieler wird nur Nebenfigur von: In Zeiten der Anarchie sein (der Titel muss noch gefunden werden. Im Vordergrund, eine ruhende Gruppe (…) Mann, Frau, Kind (….) unter einer großen Kiefer erzählt ein alter Mann den Kindern Geschichten (…) auf den Hügeln (….) die Ernte: die Maschinen rauchen, arbeiten, verringern die Schinderei: und um die Heuhaufen herum (…) ein Potpourri von Erntehelfern (…) in der Mitte ein junges Paar: freie Liebe!“ (2) (Paul Signac, Brief an Henri-Edmond Cross, 1893)

Die Antwort von Cross lässt auf eine Auseinandersetzung mit dem Gedankengut von Ovid schließen: Der Mensch kann aus sich selbst heraus moralisch handeln. Eine Ordnung ist auch in der Anarchie ohne von außen durchgesetzte Regelungen möglich. Dieses friedliche Potential müsse in dem Bild zum Ausdruck kommen.

„Ihre Idee von einer großen Leinwand ist perfekt. (…) Bis heute zeigen Zeichnungen, die in Verbindung mit dem Ausdruck von Anarchie entstehen, immer nur entweder Aufstände oder eine Szene, in dem ergreifendes Elend Revolte vermuten lässt. Lassen Sie uns eine traumhafte Epoche vorstellen von Glück und Zufriedenheit, zeigen Sie die Handlungen der Menschen, ihre Spiele, ihre Arbeit in diesem Zeitalter allgemeiner Harmonie.“ (3)

Weitere Bilder zum Goldenen Zeitalter (auch von Salvador Dali und Yves Klein) hier


(1) „Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo,/sponte sua, sine lege fidem rectumque colebat./poena metusque aberant, nec verba minantia fixo/aere legebantur, nec supplex turba timebat/ iudicis ora sui, sed erant sine vindice tuti.“ (Ovid, Metamorphosen, 1. Buch, 89-93)

(2) „[G]rande nouvelle! sur vos conseils je vais tâter d’une grande toile! […] Le joueur de boules devient un personnage épisodique de: au temps d’anarchie (titre à chercher). Au premier plan un groupe au repos […] homme, femme, enfant […] sous un gros pin un vieillard conte des histoires à de jeunes mômes […] sur un coteau […] la moisson: les machines fument, travaillent, abattent la besoigne: et autour des meules […] une farandole de moissonneurs […] au centre un jeune couple: l’amour libre!“ Undatierter Brief [1893] von Signac an Cross, Ferretti-Bocquillon, Signac & Saint-Tropez, 1892-1913, 52.

(3) „Votre idée pour une grande toile est parfait. […] Jusqu’à aujourd’hui les dessins relatifs à l’expression de l’anarchie montrent toujours soit la révolte, soit une scène suggérant par sa poignante misère la révolte. Imaginons l’époque rêvée du Bonheur et du bien-être et montrons les actions des hommes, leurs jeux, leurs travaux en cette ère d’harmonie générale.“ Undatierter Brief [1893] von Cross an Signac, Signac Archives. Dieser Absatz wurde veröffentlicht von Marina Ferretti- Bocquillon in Distel et al., Signac, 1863-1935, 241.

Kunstakademie Düsseldorf
Thomas Cole

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